Auf dem Marktplatz versammeln sich die Menschen. Die Kinder und Jugendlichen tragen die Palmbuschen, die sie in der Woche zuvor zu Hause oder gemeinsam im „Pfarrstadl“ gebunden haben. Manche Buschen sind bis zu fünf Meter hoch. Geschmückt sind sie mit Weidenkätzchen und Buchsbaumgrün, die zwei- oder dreistöckig angeordnet sind. Vor dem Torhaus der stattlichen Wehrkirchenanlage nimmt nun der Pfarrer nach einer Statio die Palmsegnung vor. Angeführt von einem festlich geschmückten Kreuz bewegt sich die Palmprozession durch den Markt. Ein buntes, friedliches Bild gibt dabei der „Wald“ der schwankenden Palmbuschen ab. Mitten in der singenden und betenden Gemeinde führen die Ministranten den Messias auf dem Grautier mit; gemäß dem Bibelworten: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, demütig, und er reitet auf einem Esel…“ (Sach. 9, 9). Zum Festgottesdienst versammeln sich die Gläubigen in der Kirche, wobei die Palmbuschen vor dem Hochaltar „Ehrenwache“ halten.
Palmsonntagsumzüge lassen sich in Altbayern bis ins hohe Mittelalter zurückverfolgen. Um den Gläubigen den Einzug Jesu in Jerusalem anschaulich und sinnfällig nahe zubringen, wurden ursprünglich sogar lebende Esel verwendet, so geschehen bereits um 970 in Augsburg, wo der Bischof auf einem Grautier zum Dom ritt. Im Laufe der Zeit wurden anstelle der oft störrischen Esel hölzerne Bildwerke, die auf Rädern fuhren, eingesetzt. Das Kößlarner Exemplar ist bereits 1481 entstanden.
Im Zeitalter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts geriet die sinnliche Darstellung von Glaubensinhalten zunehmend in die Kritik der geistlichen und weltlichen Obrigkeit und es häuften sich Berichte von Missständen. Die Chronisten beklagten eine zunehmende Hinwendung der Gläubigen zur Genusssucht, zum übermäßigen Essen und Trinken am Palmsonntag (in Kößlarn wurde bis vor kurzem noch beim „Weißbräu“ das so genannte „Märzenbier“ an diesem Tag abgehalten). Als „Sündenbock“ für die sittlichen Auswüchse mussten nun die Palmesel herhalten. Mit einem Dekret vom Jahr 1783 wurde im Kurfürstentum Bayern das Mitführen des Eselsreiters verboten. In den folgenden Jahren wurden viele der Holzfiguren zersägt, zerhackt und verbrannt. Als ein Brauchtumsforscher 1897 in Bayern nach den hölzernen Langohren Ausschau hielt, fand er gerade noch 50 Exemplare, die heute in Museen, Klöstern und Kirchen ein eher zurückgezogenes Dasein führen.
Der Palmesel von Kößlarn verdankt sein Überleben einem sicheren Versteck über dem Kirchengewölbe. Im 19. Jahrhundert lebte der Brauch der Palmprozessionen wieder auf. Allerdings wäre er in den 1970er Jahren beinahe wieder zum Erlöschen gekommen. Nach siebenjähriger Pause meldete sich 1977 das Bayerische Fernsehen zu einem Drehbesuch an. Flugs wurde der Palmesel von Pfarrer Matthias Lechner und vom Pfarrgemeinderat „reaktiviert“. Wieder belebt wurde dabei auch das Brauchtum, große Palmbuschen bei der Prozession mit zutragen. Für das Aufblühen des alten Brauchtums setzten sich besonders auch Pfarrer Hans Schiermeier und Heimatforscher Gerold Zue ein.